Aktuelle Entwicklungen in der Anglikanischen Kirchengemeinschaft
Die Mutterkirche der Reformierten Episkopalkirche i.D., die Reformed Episcopal Church (REC), gehört — als Gründungsjurisdiktion — zur 2008 gebildeten Anglikanischen Kirche in Nordamerika (Anglican Church in North America, ACNA). Die ACNA ist aus einer Sammlungsbewegung bekennender Anglikaner hervorgegangen, die den schwerwiegenden lehrmäßigen und liturgischen Änderungen, welche die Kirchenleitungen der Mehrheits-Episkopalkirche (The Episcopal Church, TEC) seit den 1970er Jahren beschlossen haben, gewissensmäßig nicht mehr folgen konnten.
Zwar führen immer noch etliche Glieder der TEC und sogar vereinzelte TEC-Diözesen den Kampf für den überlieferten Glauben, der den Heiligen ein für allemal anvertraut ist (Judas 3). Doch haben sich führende Vertreter der TEC einschließlich ganzer synodaler Mehrheiten inzwischen deutlich vom Glauben der christlichen Kirchen früherer Jahrhunderte entfernt, indem sie nach unserer Wahrnehmung Folgendes leugnen oder verschweigen: die Lehre von der Notwendigkeit der Erlösung durch Jesus Christus; die Wesensgleichheit Jesu Christi mit Gott dem Vater; die göttliche Eingebung der Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments; das biblische Verständnis der Schöpfungsordnung von Ehe und Familie; das altkirchliche Verständnis vom geistlichen Amt. Aufgrund dieser lehrmäßigen Verschiebungen sind die Beziehungen der TEC zu einem Großteil der übrigen Kirchenprovinzen der weltweiten Anglikanischen Kirchengemeinschaft, aber auch zu den ökumenischen Partnern — nicht zuletzt zu den orthodoxen Kirchen und zur römisch-katholischen Kirche — schwer belastet. Ansätze zu einer ähnlichen Entwicklung wie innerhalb der TEC findet man leider auch in der Anglican Church of Canada.
In der Folge dieser traurigen Entwicklungen sahen sich viele Anglikaner in Nordamerika gezwungen, eigene Diözesen, zunächst geleitet von Bischöfen aus anderen anglikanischen Kirchenprovinzen (insbesondere Nigeria, Ruanda, Südostasien, Südamerika, Uganda), zu bilden oder gar als diözesane Gesamtheit (im Falle von Pittsburgh unter Bischof Robert Duncan) die TEC zu verlassen. Diese Diözesen gründeten 2008 gemeinsam mit unserer Mutterkirche, der Reformed Episcopal Church (REC), die Anglikanische Kirche in Nordamerika, abgekürzt ACNA. Im Unterschied zu den meisten anderen Gründungsjurisdiktionen der ACNA war die Reformed Episcopal Church bereits im 19. Jahrhundert entstanden, als in der Folge einer fehlgeleiteten hochkirchlichen Erneuerung ein exzessiver Ritualismus in der TEC (damals noch den Namen Protestant Episcopal Church tragend) um sich griff und evangelisch gesinnte Anglikaner entweder aus Gewissensnot oder unter Zwang der Kirchenleitung die Protestant Episcopal Church verlassen mussten (siehe auch die Rubrik Geschichte). Die ACNA sollte vor diesem Hintergrund nicht mit der zahlenmäßig deutlich kleineren, ausschließlich anglokatholischen Anglican Church in America (ACA) verwechselt werden. Seitdem der römische Papst Benedikt XVI. in einer Apostolischen Konstitution vom 4. November 2009 die Einrichtung von römisch-katholischen, aber anglokatholisch geprägten Sonder-Diözesen mit gewissen Zugeständnissen bei Priesterehe (Zulassung verheirateter Männer zum Diakonen- und Priesteramt in Ausnahmefällen: Anglicanorum coetibus, VI, §1-2) und Ritus (Zulassung anglokatholischer liturgischer Traditionen nach päpstlicher Genehmigung: Anglicanorum coetibus, III) angekündigt hat, ist die Zukunft der ACA — im Gegensatz zur ACNA — äußerst ungewiss, da zahlreiche ACA-Laien und -Geistliche den Übertritt zur römisch-katholischen Kirche erwägen oder bereits vollzogen haben. Die Anglican Province of America (APA) ist ebenfalls anglokatholisch ausgerichtet, etwas größer als die ACA und nimmt eine vermittelnde Position zwischen ACNA und ACA ein. Sie steht in Kirchengemeinschaft mit der REC.
Die ACNA wird von Erzbischof Robert Duncan und einem zwölfköpfigen Exekutivausschuss — darunter auch Bischof Royal U. Grote von der Reformierten Episkopalkirche — geleitet. Die ACNA strebt eine Anerkennung als 39. Kirchenprovinz der weltweiten Anglikanischen Kirchengemeinschaft (Anglican Communion) an. Inzwischen hat eine beträchtliche Zahl von Kirchenprovinzen und Diözesen, die sogar die große Mehrheit der praktizierenden Anglikaner weltweit repräsentiert, volle Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft mit der ACNA erklärt. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Bewegung der Anglikaner des so genannten Globalen Südens (Global South Anglicanism) und die Konferenz für eine globale Zukunft des Anglikanismus (Global Anglican Future Conference, GAFCon/FCA); beiden Bewegungen ist sehr an einem eindeutigen Bekenntnis aller Anglikaner zu Jesus Christus als Herrn und Heiland und an einer Bewahrung der Bekenntnisgrundlagen der anglikanischen Kirchen gelegen. Die ACNA befindet sich in einem fruchtbaren ökumenischen Dialog mit verschiedenen lutherischen und orthodoxen Denominationen; auch mit der römisch-katholischen Kirche finden Begegnungen statt. Die byzantinisch-orthodoxen Kirchen Nordamerikas betrachten ACNA, nicht The Episcopal Church oder Anglican Church of Canada, als ihr ökumenisches Gegenüber aus der anglikanischen Tradition.
Auch die ACNA ist nur eine Gemeinschaft von begnadigten Sündern. Dem Dreieinigen Gott sei umso größerer Dank, dass wir uns zur einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche — zu Gottes Volk und Christi Leib — zählen dürfen!